Ein Zeitreise-Bericht der Klasse 9.4 des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums vom 23. September 2022
Wir schreiben das Jahr 2045
Deutschland im Jahr 2045. Erneut hat die DEP, die Deutsche Einheitspartei, den Wahlsieg errungen. Unternehmer unterstützen seit Jahren die DEP finanziell. Als Gegenleistung verfolgt die DEP eine Politik im Interesse der Unternehmer und zum Nachteil der allgemeinen Bevölkerung. Der Schein der Demokratie wird durch alljährliche Wahlen erzeugt. Die DEP garantiert der Unternehmerclique, dass die Trennung der Armen und Reichen in allen Lebensbereichen aufrechterhalten wird.
Die Wohngegenden der Wohlhabenden sind von denen der sozial Schwächeren durch Sperrzäune getrennt. Es herrscht eine Sperrstunde für die ärmeren Menschen ab 20 Uhr. Die Herstellung von VR-Geräten wird subventioniert, sodass auch Menschen mit geringen Einkünften sich die Technik leisten und viel Zeit in der virtuellen Welt verbringen können. Auf diese Weise kann die DEP das Aufkommen von Kritik an den Verhältnissen im Keim ersticken.
Der von den Medien kontinuierlich propagierte Mythos des sozialen Aufstiegs für jeden führt zudem dazu, dass der Großteil der ärmeren Bevölkerung daran glaubt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch sie Teil der wohlhabenden Gesellschaftsschicht sind und dem Elend entkommen. Trotz der Propaganda und der Techniksucht gibt es eine kleine regierungskritische Bewegung, die an den Mythos des sozialen Aufstiegs nicht glaubt und die Regierung stürzen will. Sie sind der Auffassung, dass sie von Plastikmenschen regiert werden. Noch kann die Staatsgewalt die Protestierenden mit Drohungen und Bewachungstechniken einschüchtern und das Wachsen der Bewegung eindämmen.
Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…
1. Akt: Im Studio
Frau Thom: Willkommen zu „Das Beste“- die unabhängigste und seriöseste Show von ganz Deutschland. Kommen wir zu den News. Unser Bundeskanzler, Herr Blog, hat angekündigt, die Fleischrechte zu verschärfen. Die Fleischproduktion wird eingeschränkt. Nun werden nur noch alle fünf Monate, statt alle zwei Monate, Fleisch an die Supermärkte geliefert. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Wahlergebnisse haben uns erreicht. Mit 95 % hat die DEP es wieder geschafft und sich den Sieg geholt. Dazu haben wir Frau Gerck eingeladen.
Frau Gerck spaziert in das Studio herein und redet derweil noch am Handy.
Frau Gerck (ihrem Schatzi am Phone erzählend): Ja, das ist ja wirklich mega cringe. Aber übrigens, ich habe mir meine Haare gefärbt. Die sehen jetzt so geil aus! Aber sorry, ich muss jetzt auflegen. Bin hier in irgendeiner Talkshow eingeladen. Wir sprechen dann einfach später noch mal, okay? Bye!
Frau Thom: Frau Gerck ist ein gutes Beispiel, wie schnell der Aufstieg in unserer Gesellschaft gelingen kann. Sie steht für viele weitere Menschen in unserer Gesellschaft, die sich dank der DEP zur Oberschicht zählen können. Also, Frau Gerck, wie fühlen Sie sich nach dem Erfolg Ihrer Partei?
Frau Gerck: Ja, das ist natürlich super. Mit 95 Prozent, das muss man sich mal überlegen. Und an dieser Stelle möchte ich mich auch ganz, ganz herzlich bei der DEP bedanken, weil ich es durch sie geschafft habe, vom ärmeren Teil der Gesellschaft zum reichen Teil der Gesellschaft aufzusteigen. Ein herzliches Dankeschön!
Frau Thom: Und wie sehen Ihre Ziele für die Zukunft aus?
Frau Gerck: Ja, die Ziele. Darüber habe ich mir noch gar nicht so richtig Gedanken gemacht. Natürlich möchte ich – was ja auch die Aufgabe der DEP ist – den Menschen helfen und die DEP an der Spitze behalten. Aber mal gucken, was die Weltgeschichte sonst noch so zu bieten hat.
Frau Thom: Sehr interessant.
Frau Gerck (auf ihr Phone schauend): Oh mein Gott, dieser Trend ist so geil.
Frau Thom: So viel zur DEP, die vertrauenswürdigste Partei. Danke Frau Gerck und auf Wiedersehen. Und auch auf Wiedersehen an Sie, liebe Zuschauer, wir sehen uns morgen.
Die Kamerafrau winkt: Die Aufnahme für die Nachrichtensendung ist vorbei. Frau Gerck geht, ohne sich zu verabschieden, und plappert weiter in ihr Telefon. Der Unternehmer Herr Lindell geht auf Moderatorin Frau Thom zu.
Herr Lindell: Okay, Frau Thom, die Million Euro für die Parteiwerbung übermitteln wir Euch in der nächsten Woche. Und Sie müssen gleich noch mal zum Armenviertel. Dort müssen Sie bei einem Dreh mitmachen für eine Reportage.
2. Akt: In der Wohnung
Mutter, Vater und Tochter sitzen am Esstisch und unterhalten sich. Das Wohnzimmer sieht heruntergekommen aus.
Mutter Josephine: Schatz, die DEP wurde wiedergewählt. Nun haben wir die Möglichkeit, unsere finanziellen Verhältnisse zu verbessern.
Vater Joseph (frustriert und auf den Tisch hauend): Hast du es immer noch nicht verstanden, Josephine? Wir leben überhaupt nicht in einer Demokratie! Wir haben überhaupt keine Stimme! Glaubst du ernsthaft, dass eine Sperrstunde ab 20 Uhr gut ist? Dass wir getrennt von Arm und Reich leben müssen? Und dass eine Mauer zwischen diesen zwei Positionen stehen muss? Dass wir hier in einem Kartenhaus leben müssen? Und überhaupt setzt sich diese Partei doch immer nur für die Mehrheitsgesellschaft ein. Wer anders ist, der ist dann „nicht normal“ (schüttelt den Kopf).
Josephine (sichtlich genervt): Du glaubst immer nur an irgendwelche Verschwörungen. Wir Deutschen haben ja mit irgendwelchen Verschwörungserzählungen schon immer ein Problem gehabt, hätte jetzt wohl meine geliebte französische Oma mit einem Augenzwinkern geraunt. Ganz im Ernst, dieses paranoide Denken hat uns doch schon im vergangenen Jahrhundert ins Verderben gestürzt.
Joseph (mit rotem Kopf): Du schon wieder. Das, was jetzt passiert, kannst du doch damit gar nicht vergleichen.
Tochter Johanna: Haltet mal ganz kurz eure Klappe.
Tochter Johanna spricht am Handy.
Johanna (sichtlich genervt): Hey, Leute. Ja, hier ist gerade mal wieder mega die Familienkrise. Wegen dem da oben. Und der DEP, ihr wisst schon…
Josephine: Leg das Handy weg!
Johanna: Chill mal, Mom.
Joseph: Johanna, Du bist doch mit 15 Jahren schon groß. Hilf mir doch mal, die Josephine wieder zu Vernunft zu bringen und sie zur Einsicht zu bringen, dass die DEP eigentlich nichts ist als eine Regierung, die überhaupt nicht zur Demokratie fähig ist.
Johanna: Ich werde in dieser verpesteten realen Welt garantiert nichts tun. Die einzige Welt, die für mich wirklich zählt, ist die virtuelle Welt.
Josephine (in einem versöhnlichen Ton): Bald gehören wir zur Oberschicht, dann haben wir dieses Problem nicht mehr.
Joseph (verdreht die Augen): Wer‘s glaubt, wird selig. Ernsthaft, das ist doch nur Teil der Propaganda. Wir haben überhaupt keine Chance, dort hochzukommen. Das ist nur eine Minderheit, die das auch bleiben möchte. Die sagen natürlich, dass viele mit Fleiß zu hohem Wohlstand gelangen können. Aber fast niemand schafft das – oder kennst du jemanden persönlich, der aufgestiegen ist? Du sagst nichts? Du glaubst mir nicht. Weißt du was? Bald wird die Revolution kommen. Und dann wirst du sehen… Und dann werden wir die Reptiloiden, die dort oben sind, herunterstürzen. Und die Oligarchen, die sie dort beeinflussen, noch dazu! Gleich ist eine Demonstration am Sperrzaun zwischen Arm und Reich. Ich nehme jetzt ein Flugtaxi und fliege dorthin.
Joseph ist aufgewühlt und steht auf. Johanna will sich anschließen.
Johanna: Ich komme mit. Das werden meine Follower lieben!
Joseph: Naja, ich weiß ja nicht. Du solltest dann lieber das Handy ausschalten.
Johanna: Das Handy ausschalten? Garantiert nicht. Dann bleibe ich lieber hier.
Joseph: Willst du, dass sie uns orten? Und dann sind wir alle in Gefahr.
Johanna (wütend, winkt ab): Dann geh doch alleine hin. Ich bleibe hier und überlege mir etwas anderes für meine Follower.
Joseph (entrüstet): Du interessierst dich überhaupt nicht dafür, was ich hier eigentlich zu sagen habe!
Johanna: Wieso sollte ich?
Joseph (steht auf und greift zur Jacke): Ich werde jetzt etwas verändern. Wenn ihr hierbleiben wollt, dann bleibt hier.
Joseph verlässt frustriert das Haus. Josephine schaut weiter Nachrichten und Johanna erzählt ihren Followern vom Geschehenen.
3. Akt: An den Sperrzäunen
Eine Menge von Demonstranten stehen vor den Sperrzäunen, die das Armenviertel von dem Reichenviertel trennen. Sie halten Plakate mit Aufschriften wie „Nieder mit den Plastik-Reptiloiden!“.
Joseph (schreit in die Menge): Los, verändert etwas! Nehmt es in eure Hände! Die interessieren sich überhaupt nicht für uns! Wir haben keine Chance mehr!
Kommissarin Schmidt: Sie sind nicht registriert. Sie gehören zu den Armen. Gehen Sie wieder umgehend an Ihre Arbeit.
Joseph (den Finger auf die Kommissarin zeigend): Du Stück Plastik! Du wirst gleich zerstört werden! Wenn die Revolution überhaupt erst startet, dann wird…
Kommissarin Schmidt (bedrohlich): Gehen Sie an Ihre Arbeit!
Joseph (weicht zurück und senkt den Kopf): Lassen Sie mich, ich gehe schon. Dieses eine Mal noch…
Kommissarin Schmidt (den Kopf schüttelnd und mit einem leichten Grinsen auf den Lippen): Wer‘s glaubt, wird selig.
Redaktion: eh, tm