Die Antidot-Welt

Ein Zeitreise-Bericht der Klasse 9.4 des Rosa-Luxemburg-Gymnasiums vom 23. September 2022


Wir schreiben das Jahr 2045

Bundeskanzler Charles Webster wird zum zehnten Mal wiedergewählt. Die Menschen in Neudeutschland glauben an ihn und vertrauen dem Regierungschef. Die Presse lobt ihn und seine Politik unentwegt. Es fällt nie ein kritisches Wort. Webster verspricht seinen Bürgern einen stabilen und hohen Lebensstandard sowie neue Updates der VR-Antidot-Brille. Diejenigen, die die Regierung unterstützen, werden mit neuer Technik belohnt.

Die Antidot-Brille ist eine wichtige Technik für die Regierung, da sie die Menschen von der virtuellen Welt abhängig macht. Die Antidot-Brille erhebt Daten über seinen Nutzer und erschafft eine perfekte Welt für sie. Gute Noten in der Schule und andere, vom Staat als gut erwähnte Taten werden mit Stunden in der Antidot-Welt belohnt. Dort werden die Bürger auf unbewusste Weise mit prostaatlicher Propaganda manipuliert.

Probleme wie heißes Wetter, die aus dem Klimawandel folgen, werden durch das Verweilen in der virtuellen Welt umgangen. Menschen, die sich kritisch äußern, sich nicht dem „Mainstream“ beugen möchten oder gering bezahlter Arbeit nachgehen, können sich keine Zeit in der Antidot-Welt leisten. Viele derjenigen, die merken, dass Charles Webster sich nicht für die Interessen der Bürger einsetzt und keine Demokratie herrscht, werden von der Staatsgewalt durch Deals über mehr Stunden in der Antidot-Welt korrumpiert und zum Schweigen gebracht.



Eine Szene, die sich im Jahre 2045 zugetragen hat…

1. Akt: Am Esstisch

 Handelnde Personen:  

  • Großvater  
  • Enkel  
  • Vater  
  • Mutter  
  • Roboter  

Der Großvater kehrt zu seiner Heimat, Neudeutschland, nach Jahren in der Ukraine zurück. Er trifft auf seinen Enkel und seine Tochter.

Großvater: Na mein lieber Enkel, wie geht’s dir?

Enkel (völlig aus dem Häuschen): Opa, du bist ja da! Wo warst du?

Großvater: Nach meinen zwei Jahren in der Ukraine wurde es mir ein bisschen langweilig. Da kam ich zu meiner schönen Heimat – Neudeutschland. Da wollte ich meine schöne Tochter und meinen schönen Enkel besuchen.

Enkel: Äh ja, freut mich, dass du hier bist.

Großvater (sich zu Hause umschauend): Ja, wie geht es denn deiner Mutter? Irgendwie hat sie mich noch nicht angesprochen.

Enkel (distanziert): Sie ist da in ihrer Welt, in ihrer Anti-Dot-Welt.

Großvater (schmunzelnd): Okay. Ich wusste schon, dass Intelligenz oft eine Generation überspringt. Dann musst du ja der Schlaue in der Familie sein. Und wie sieht‘s in der Schule aus?

Enkel (stolz): Ich schreibe nur Einsen und Zweien.

Großvater: Super, dann muss ich mal meinen Job als Opa übernehmen und dir ein bisschen Taschengeld geben!

Enkel (ungläubig): Was ist das denn für ein altes Ding?

Großvater: Das ist ein Kalkumio-Apple-IQS1. Das war das modernste Ding in meiner Jugend.

Enkel (lacht): Im Mittelalter vielleicht…

Großvater: Ach was, das funktioniert super! Alte Technik, die begeistert. So. Ich muss kurz mein Passwort aus meinem Hut holen. So, jetzt müsste es drauf sein.

Enkel: Ich guck mal kurz.

Großvater (mit großen Augen): Was ist denn das?

Enkel: Das ist der Antidot.

Großvater (fasst sich an sein Hörgerät): Ein Antibot?

Enkel: Nein, ein Antidot, Opa! Immer wenn man Einsen oder Zweien schreibt, kriegt man da extra Zeit drauf. Für eine Eins bekommt man eine Stunde, für eine Zwei eine halbe.

Großvater: Und für was braucht man das?

Enkel: Das ist das moderne Handy! Da kann man in seine Traumwelt reisen. Das weiß, was einem gefällt – es ist die perfekte Welt, individuell angepasst an Deine Bedürfnisse.

Großvater: Kann man da auch Fußball spielen?

Enkel: Ja, alles!

Ding – dong. Die Tür klingelt.

Großvater: Wer ist denn das? Hallo mein lieber Schwiegersohn! Na, wie geht’s Dir denn?

Vater (mit finsterer Miene): Nicht gut.

Großvater: Warum? Erzähl doch mal!

Vater (in schmerzvoller Stimme, den Tränen nah): Ich habe meinen Job verloren! Jetzt kann ich das alles nicht mehr bezahlen.

Er zeigt auf die Antidot-Brille und nimmt der Mutter ihre Antidot-Brille weg.

Mutter (schreiend und weinend): Du kannst sie mir nicht einfach wegnehmen! Was fällt Dir ein!

Roboter (stellt das Essen auf den Tisch): Es ist 9 Uhr. Zeit für die Pille.

Die Mutter und der Vater beruhigen sich, da sie Pillen mit dem Essen einnehmen.

Großvater: Okay, immer noch so komisch wie vorher. Mach mal den Fernseher an, mein Junge. Aber den richtigen, nicht das komische Holo-Ding. Hier ist die Fernbedienung.

Die Familie schaut Fernsehen zusammen.


2. Akt: Im Nachrichtenstudio

 Handelnde Personen:  

  • Nachrichtensprecher  
  • Charles Webster  
  • Souffleur  

Die Tagesschau hat heute Charles Webster zu Gast, den soeben wiedergewählten Bundeskanzler von Neudeutschland. Der Nachrichtensprecher gratuliert Webster zum Wahlsieg. Ein Souffleur steht hinter dem Nachrichtensprecher und passt auf, dass er nichts sagt, was Webster nicht gefallen könnte.

Nachrichtensprecher: Hallo und herzlich willkommen zu den Neudeutschland News. Wir besprechen heute das Ergebnis der Bundestagswahlen, die Charles Webster gewonnen hat.

(an Charles Webster gerichtet) Sie freuen sich sicherlich, dass Sie wiedergewählt wurden. Was haben Sie jetzt vor?

Webster: Ich und meine Freunde freuen uns sehr, dass wir wieder gewonnen haben. Wir werden die Spaltung zwischen Arm und Reich senken und versuchen, alle Menschen auf ein hohes Wohlstandsniveau zu heben, einen hohen Lebensstandard zu schaffen und weiter so gute Ergebnisse zu erreichen.

Nachrichtensprecher: Das hört sich wundervoll an. Zu den Antidots: Haben Sie vor, irgendwelche weiteren Verbesserungen vorzunehmen?

Webster: Die Antidots werden weiterentwickelt. Wir planen weitere Updates. Es wird auch in naher Zukunft eine Pro-Version der Antidots geben.

Nachrichtensprecher: Wir freuen uns schon alle auf die Pro-Version.

Webster: Zu der Pro-Version muss ich sagen: (lächelt in die Kamera) Alle Bürger, die dem zum Staat und unserer Demokratie treu bleiben und das machen, was wir als demokratisch gewählte Regierung planen, werden eine Probe-Brille kostenlos erhalten. (etwas gleichgültig) Alle anderen werden die ganz normale Antidot-Brille mit allen Standard-Funktionen weiterhin erhalten. (mit leuchtenden Augen) Nur hat die Pro-Version ganz neue Updates, Easter Eggs und noch viel mehr.

Nachrichtensprecher (mit einem nervösen Blick auf den Souffleur): Das ist sehr freundlich von Ihnen. Das sind große Ziele, die Sie sich gesetzt haben. Aber es gibt keine zu kleinen Ziele für Sie. Wir bedanken uns für das Interview. Sie sind sehr toll!

Webster (nickt mit dem Kopf selbstzufrieden): Danke!


3. Akt: Auf der Straße

 Handelnde Personen:

  • Großvater  
  • Enkel  
  • Demonstrant  
  • Polizistin  

Großvater: So, mein Jung, und wie fandest du die Nachrichten?

Enkel: Wie gewohnt sehr altmodisch.

Großvater: Naja, gehen wir zu einem anderen Thema über. Was hast du jetzt noch vor?

Enkel: Ich werde gleich in die Antidot-Welt gehen.

Großvater (etwas verächtlich): Ach lass das mal mit deinem Sucht-Ding hier. Lass uns einen alten Spaziergang zum Fluss machen.

Enkel: Aber es ist so heiß draußen!

Großvater: Komm, wir sind ja nicht aus Wasser.

Die beiden verlassen das Haus und geraten mitten in eine kleine Gruppe von Demonstranten.

Demonstrant: Wir wollen Demokratie!!! Wir wollen Demokratie!!

Polizistin: He, was machen Sie da?

Demonstrant: Wir wollen Demokratie!! Wir haben ein Recht auf Demonstration!

Polizistin: Was wollen Sie, damit Sie damit aufhören, hier so sinnlos zu protestieren und Unruhe zu stiften?

Demonstrant: Ich muss mich immer nur unterordnen. Aber ich bin anders als der Rest. Warum akzeptiert man das in unserer Gesellschaft nicht. Ich möchte ich selbst sein.

Polizistin: Hör zu, Du hast die Wahl. Entweder ich verhafte Dich jetzt wegen Ruhestörung oder ich biete Dir ein paar Stunden in der Antidot-Welt und Du gehst friedlich.

Demonstrant: Das ist doch unfair mit Deinen Robotern im Hintergrund. Hände weg, ich geh ja schon. Aber gib mir wenigstens 9 Stunden, dann träume ich wenigstens von einer besseren Zukunft!

Polizistin: 9 Stunden ist zu viel. 7!

Demonstrant: Achteinhalb!

Polizistin: Wir geben Dir 8. Deal?

Demonstrant (mit gesenktem Kopf): Okay, deal. (flüsternd-murmelnd) Wir sind einfach zu wenige.

Der Großvater und sein Enkel laufen weiter und unterhalten sich über das, was sie gesehen haben.

Großvater: Die sind aber komisch. Sind die oft hier?

Enkel: Es ist öfters hier so.

Großvater: Okay, lass uns mal weiterziehen.

Enkel: Charles hat das alles im Griff.

Der Großvater schaut seinen Enkel etwas skeptisch an, möchte etwas erwidern, aber lässt es dann. Gemeinsam laufen sie zum Fluss.


Redaktion: eh, tm