geCHIPpt und versklavt

Ein Zeitreise-Bericht der 12. Klasse des OSZ Lotis vom 5. bis 6.12.2022

Deutschland im Jahre 2045

Die Lebensrealität der Menschen im Jahr 2045 sieht sehr unterschiedlich aus: Die einen sehr reich, die anderen sehr arm.

Die Armen verdingen sich als (Lohn-) Sklaven, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Reichen leben dafür in Saus und Braus.

Augenscheinlich ist die Gesellschaft nach wie vor demokratisch organisiert. Protest der ärmeren Menschen ist möglich, wird aber meist schnell unterdrückt. Deshalb hält sich dieses System auch schon eine Weile, obwohl viele Menschen ganz und gar nicht damit einverstanden sind, wie sie leben müssen.

Doch… Wie schaffen es die Reichen, die Armen in ihre Schranken zu weisen? Haben sie vielleicht eine Art Allzweckwaffe gegen unbequeme Störgeister?



1. Akt: Im Penthouse

 Handelnde Personen:  

  • Maxime – Reiche  
  • Melissa – Reiche  
  • Tom – Armer Bediensteter  
  • Tim – Armer Bediensteter  

Tim und Tom putzen die Fenster im Penthouse. Die beiden Reichen Maxime und Melissa sitzen auf dem Sofa, trinken Tee und unterhalten sich. Auf einmal hört Tim auf zu putzen und spricht Tom an.

Tim: Sag mal, Tom. Wir werden hier total schlecht behandelt.

Tom (überrascht): Ja, und? Was willst du machen?

Tim (verzweifelt): Ich halte das nicht mehr aus. Ich sag jetzt was.

Tom (zweifelnd): Ist das wirklich eine gute Idee? Na okay, aber dann lass mich machen. Ich bin diplomatischer.

Tom geht zu Maxime und Melissa und spricht sie an.

Tom: Entschuldigung, wir wollten mal was loswerden. Also… (druckst herum) Was wir sagen wollten, ist…

Tim (platzt dazwischen): Also, was der Junge sagen möchte, ist, ihr bezahlt uns erbärmlich schlecht.

Tom: Ja, genau!

Maxime stellt die Teetasse ab und blickt die beiden abschätzig an.

Maxime (abfällig): Wir bezahlen euch „erbärmlich schlecht“? Ihr bekommt 0,5 Prozent von unserem Gehalt! Was ist daran erbärmlich?

Tom (beschwichtigend): Wir sind natürlich dankbar, aber Sie müssen auch verstehen… Ich muss doch meine zwei Frauen bezahlen. Das reicht nicht.

Tim: Genau! Das ist voll unverhältnismäßig!

Melissa (vermittelnd): Versetzt euch doch mal in unsere Lage. Wenn wir euch mehr geben, wovon sollen wir dann leben?

Tim (fassungslos): Selbst bei einer Verdopplung unseres Gehalts würden 99 % übrig bleiben! Merkt ihr überhaupt noch was?

Melissa (deeskalierend): Also ich merke, die Situation eskaliert gerade ein bisschen.

Tom: Wir sind die besten Sklaven, wir machen total den guten Job.

Maxime (steht auf und wird laut): Das ist halt euer Leben! Ihr müsst dankbar sein! Ihr kriegt überhaupt Geld. Und ihr werdet besser bezahlt als alle anderen Sklaven!

Alle schreien durcheinander, es wird laut. Maxime nimmt eine Fernbedienung in die Hand und hält sie drohend über ihren Kopf.

Tim (schreit): Nicht die Fernbedienung!

Maxime drückt einen Knopf auf der Fernbedienung. Ein Alarmton erklingt und die beiden Sklaven werden auf einmal still. Sie stehen ganz reglos da, mit aufgerissenen Augen.

Maxime: Na geht doch. (im Befehlston) Und jetzt geht die Drohnen putzen!

Tim und Tom (zusammen): Jawohl, wird gemacht! (gehen davon)

Melissa (traurig): War das wirklich nötig? Die Armen…

Maxime (empört): Genau, diese Armen heutzutage, also wirklich! So aufmüpfig. Immer wieder braucht man die Fernbedienung. Tz tz tz..

Die beiden setzen sich wieder hin und trinken weiter Tee. Der Nachmittag ist gerettet.


2. Akt: Im Bundestag

 Handelnde Personen:  

  • Lara Berlin – Bundeskanzerlin  
  • Petra Rau – Bundestagspräsidentin  
  • Reiches Publikum  
  • Armes Publikum  

Die Bundeskanzlerin Lara Berlin hält eine Rede zur Verbesserung der Lage der ärmeren Bevölkerung.

Lara Berlin: Guten Tag, liebe Abgeordnete, Frau Bundespräsidentin, verehrtes Publikum. Die momentane Lage ist zugespitzt. Die Reichen werden immer reicher.

Die Reichen im Publikum applaudieren und johlen laut.

Lara Berlin (ans Publikum): Ja, dass Sie das freut, liebe Reiche, ist klar. (liest wieder ab) Die Armen werden aber immer ärmer. Nichtsdestotrotz: Ich als Bundeskanzlerin setze mich für eine Verbesserung ein. Die Viertel der Armen werden ausgebaut. Die Investitionen sind um 50 Prozent gestiegen. Wir geben uns sehr viel Mühe.

Aus dem armen Teil des Publikums kommen immer wieder Unmutsbezeugungen, die die Bundeskanzlerin unterbrechen.

Lara Berlin: Bitte, bitte, lassen Sie mich ausreden. Die Verbesserungen, die wir erreicht haben: Im Wasser der Armen ist kein Schimmel mehr. Da bin ich als Bundeskanzlerin persönlich dran. Das ist mir wichtig.

Die Rufe aus dem armen Teil des Publikums werden immer lauter: „So ein Schwachsinn! Ihr versklavt uns! So geht das nicht weiter!“ Die Bundeskanzlerin kommt nicht mehr zu Wort.

Petra Rau (haut mit einem Hammer auf den Tisch): Ich bitte um Ruhe! Wir sind hier im Bundestag, da rufen Sie nicht einfach rein!

Armer Mann (empört): Ach ja? Und die Reichen dürfen, oder was?

Petra Rau: Bitte beruhigen Sie sich, sonst müssen wir Sie rauswerfen lassen oder andere Maßnahmen ergreifen! (zu Frau Berlin) Frau Bundeskanzlerin, bitte!

Lara Berlin: Also. Es wird immer besser. Die Reichen werden immer reicher. Die Investitionen steigen.

Armes Publikum (ruft herein): So geht das doch nicht. Ihr versklavt meine Kinder!

Lara Berlin: Wir ergreifen Maßnahmen, die Investitionen steigern wir.

Armes Publikum (wütend): Ja komm zum Punkt! Hier ändert sich doch nichts! Das System ist kaputt!

Petra Rau (schreit): Wenn ihr nicht sofort Ruhe gebt, muss ich… werde ich… (drückt einen Knopf auf einer Fernbedienung.)

Ein lauter Alarmton erklingt, die Armen verstummen sofort und starren wie blind ins Leere.

Petra Rau (beruhigt sich): Endlich ist Ruhe. Also, Frau Bundeskanzlerin, fahren Sie fort.


3. Akt: In der Schule

 Handelnde Personen:n  

  • Stefanie  
  • Erkan  
  • Peter  
  • Paul  

Vier ärmere Schüler diskutieren über die gestrige Rede von Lara Berlin.

Stefanie: Leute, habt ihr auch die neueste Folge bei Netflix gesehen? Im Bundestag?

Erkan: Ja, man!

Peter: Bro, heftig. Ich muss das auch noch verarbeiten. Jeder sollte doch das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, oder?

Stefanie: Ich hoffe, das hört niemand, der es nicht hören sollte. (schaut sich verstohlen um) Ich meine, ich bin auch kein großer Fan von der AfD und so, aber… Dieser Herr, der da einfach so eliminiert wurde…

Paul: Eliminiert? Was heißt das denn?

Peter (erklärt geduldig): Ja, also, weißt du, die Reichen haben anscheinend alle Armen gechippt. Niemand weiß, wie das passiert ist, aber wir haben alle einen Chip in uns.

Paul (ungläubig): Waaaas?

Peter: Und die haben eine Fernbedienung, wenn die die drücken, vergessen wir, wer wir sind, wo wir sind und was gerade passiert ist.

Stefanie: Damit haben die voll die Kontrolle über uns!

Alle sitzen kopfschüttelnd da.

Erkan (verschwörerisch): Das ist noch so eine Sache. Ich weiß nicht, ob ich das sagen darf… Ich war im Stadtgefängnis zu Besuch. Und… Ich habe einen der legendären Chipdetainer.

Stefanie (entsetzt, aber euphorisch): Was, wirklich? Du kannst die Chips entfernen?

Erkan (nickt): Ich kann die Chips entfernen. Aber eigentlich ist das natürlich verboten.

Stefanie: Alter, bitte entferne unsere Chips! (hält seinen Arm nach vorn)

Erkan (springt triumphierend auf): Aha, da haben wir also unsere Verräterin! (holt eine Fernbedienung hervor und drückt einen Knopf.)

Wieder der Alarmton. Stefanies Blick wird leer, Paul und Peter schauen entsetzt. Erkan steht auf und führt Stefanie ab. Er war wohl ein Spion für die Reichen und hat nach Aufständischen gesucht.